Harninkontinenz: Formen, Symptome, Therapie
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- Zuletzt aktualisiert: Montag, 12. April 2021 08:47
Harninkontinenz ist keine Diagnose, sondern ein Symptom, nämlich ein unwillkürlicher Harnabgang. Die Ursachen dafür können ganz unterschiedlich sein. Mehr dazu erfahren Sie im folgenden Beitrag.
Über das Thema Inkontinenz wird zwar immer noch nicht gerne gesprochen. Über die Werbung der Herstellerfirmen für ihre Inkontinenzprodukte ist es aber seit geraumer Zeit im Fernsehen und anderen öffentlichen Medien präsent. Sofern dies zu einer Entstigmatisierung der Betroffenen beitragen sollte, wäre das eine gute Sache. Denn Schamgefühle und Ängste vor Ausgrenzung oder gesellschaftlichen Nachteilen hindern vermutlich nicht wenige Menschen daran, sich professionelle Hilfe zu holen. Dabei stehen die Chancen sehr gut, dass sich die Problematik mit den geeigneten Maßnahmen beheben oder zumindest zufriedenstellend kontrollieren lässt.
Belastungsinkontinenz
Schwächelnder Beckenboden
Die Harnkontinenz ist weit verbreitet. Frauen dürften insgesamt zwei- bis dreimal so häufig betroffen sein wie die Männer. Das liegt vor allem daran, dass das weibliche Becken deutlich flexibler sein muss als das männliche, um das Schwangerschafts- und Geburtsgeschehen zu ermöglichen. Auch die höhere Anzahl von Organdurchtritten durch die Beckenbodenmuskulatur geht zu Lasten der Stabilität.
Der Beckenboden besteht aus drei Schichten Muskeln und Bindegewebe. Ähnlich einer Hängematte, die den Bauchraum nach unten abschließt, hält er Gebärmutter, Blase, Scheide und Enddarm an ihrem Platz. Besonders bei einer Geburt wird der Beckenboden stark belastet. Das Gewebe wird während der Entbindung stark gedehnt, feine Risse können entstehen.
Zu den typischen Symptomen eines angeschlagenen Beckenbodens zählt die Belastungsinkontinenz: Jedes Mal, wenn etwa beim Husten, Niesen, Treppensteigen oder schweren Heben der Druck im Bauchraum steigt, geht unwillkürlich Urin ab. Deshalb ist nicht nur der Rückbildungskurs als solcher so wichtig, sondern auch die Fortführung des dort erlernten Trainings der Beckenbodenmuskulatur als Vorbeugemaßnahme in Eigenregie.
Dranginkontinenz und überaktive Blase
Wechseljahre und vergrößerte Prostata Hauptursachen im fortgeschrittenen Alter
Mit fortschreitendem Alter mehren sich die Anteile von Drang- und Mischinkontinenz. Während und nach den Wechseljahren ist häufig ein Östrogenmangel für eine verminderte Spannkraft im Becken- und Blasenbereich und den unkontrollierten Harnverlust verantwortlich. Insgesamt ist etwa die Hälfte der inkontinenten Frauen von einer Belastungsinkontinenz betroffen, ein Drittel von einer Mischinkontinenz und ein Sechstel von einer Dranginkontinenz.
Bei den Männern dominieren als Erscheinungsformen dagegen die überaktive Blase und die Dranginkontinenz. In jungen Jahren handelt es sich um ein eher seltenes Phänomen, verursacht vor allem durch neurologische Erkrankungen, Blasen- und Harnröhrenverengungen, Harnsteine oder Blasenentzündungen. Im höheren Alter zieht die Häufigkeit bei den Herren dann an, überwiegend verursacht durch eine gutartig vergrößerte Prostata. In diesem Fall spricht man auch von einer Überlauf-Inkontinenz.
Gesundheitsgefahren durch vermehrten Restharn
Die Harninkontinenz ist häufig mehr als nur eine nervige Angelegenheit. Sie kann sich für die Betroffenen zu einem echten sozialen und/oder psychischen Problem entwickeln. Der aufgrund der Blasenschwäche vermehrte Restharn ist zudem eine Brutstätte für infektiöse Bakterien und damit Quelle für mögliche Blasentzündungen. Ist die Blasenmuskulatur für eine Harnaustreibung zu schwach, kommt es außerdem zum Rückstau in den Nieren. Dadurch wird deren Filterfunktion beeinträchtigt und möglicherweise Nierengewebe geschädigt, was sehr ernste Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Diagnose
Ärztliche Diagnostik bei Dauerbeschwerden angesagt
Überaktive Blase und Harninkontinenz sind dynamische Prozesse, die von alleine wieder verschwinden können. Darauf verlassen können Sie sich allerdings nicht. Um die zuvor genannten Folgegefahren zu vermeiden, empfiehlt sich bei längerwährender Problematik auf jeden Fall der Arztbesuch. Mit einer Blasendruckmessung (Zystometrie) können die Druckverhältnisse in Blase und Harnröhre sowie die Blasenkapazität erfasst und beurteilt werden. Das gilt auch für die Funktionsfähigkeit der Blasenmuskeln und möglicherweise für die Ursache der Inkontinenz. Letztere bleibt allerdings häufig im Dunkeln. Das Innere der Blase kann mit einer Blasenspiegelung (Zystoskopie) erkundet werden. Mit dem flexiblen Zytoskop, das über die Harnröhre eingeführt wird, sind bei Bedarf auch kleinere Eingriffe möglich.
Behandlung
In erster Linie physiotherapeutische Behandlung
Die Behandlung der Blasenschwäche hängt natürlich von ihrer Ursache und Form ab. Im Vordergrund stehen nichtmedikamentöse Verfahren, allen voran Beckenbodengymnastik bei Belastungsinkontinenz und Blasentraining bei Dranginkontinenz. Eine ganzheitliche Ergänzung zu diesen körperbetonten Maßnahmen bieten Entspannungstechniken (z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson). Das weitere nichtpharmazeutische Angebotsspektrum ist reichhaltig und umfasst u.a. Biofeedback, Elektrostimulation, Reflexzonentherapie, Hypnose, Akupunktur und Homöopathie.
Breites Spektrum an medizinischen Angeboten und Hilfsmitteln
Auch Hilfsmittel gibt es, wie teilweise aus der Werbung bekannt, einige: etwa speziell konzipierte Inkontinenz-Einlagen, Vaginal-Tampons, Pessare zur Lageveränderung von Harnblase und Harnröhre bei den Frauen und Tropfenfänger sowie Kondomurinale für die Männer. Eine sorgfältige Hautpflege im Genitalbereich versteht sich von selbst, das häufigere Waschen sollte nur mit seifenfreien Reinigungsprodukten erfolgen. Die Medizinproduktbranche wartet mit einem Blasenschrittmacher auf, der nach dem Prinzip des Herzschrittmachers elektrische Impulse zu den Nerven sendet, die die Blasenmuskulatur und die Harnentleerung regulieren.
Unter den Medikamenten sind Antibiotika angesagt, wenn eine behandlungsbedürftige Blaseninfektion besteht. Ansonsten dominieren die sogenannten Anticholinergika bzw. Antimuskarinika, die vor allem bei der Dranginkontinenz zum Einsatz kommen. Die verordneten Substanzen reduzieren mehr oder weniger allesamt die Überaktivität der Blasenmuskeln, wodurch sich die Blasenkapazität erhöht.
Bei einer vergrößerten Prostata stehen vor allem 5-Alpha-Reduktasehemmer oder Alpha-Rezeptoren-Blocker auf der ärztlichen Rezeptliste. Auch pflanzliche Mittel (z.B. Bärentraubenblätter, Kürbissamenextrakt oder Goldrutenkraut) können sich bei Problemen mit dem Harntrakt als hilfreich erweisen, sei es in Form von Medikamenten oder Blasentees. Eine Operation kommt normalerweise erst als letzter Ausweg in Betracht. Von den verschiedenen, heutzutage vor allem vaginalen Operationsmethoden wird das sogenannte TVT-Verfahren (tension free vaginal tape) gegenwärtig am häufigsten praktiziert.
Führen Sie Tagebuch und trinken Sie ausreichend!
Ihr eigenes Verhalten hat natürlich relevanten Einfluss auf das Krankheitsgeschehen. Vor allem bei der Dranginkontinenz empfiehlt es sich, ein Miktionstagebuch zu führen (Miktion = Wasserlassen). Damit erfassen Sie Ihre Trinkmengen und den Harnabgang. So können Sie ungünstige Trink- und Toilettenganggewohnheiten erkennen und den Therapieerfolg kontrollieren. Bei gewissenhafter Aufzeichnung kann auch die mitunter verzerrte Selbstwahrnehmung korrigiert werden.
Auch wenn man es bei diesem Thema vielleicht nicht erwarten würde: ausreichendes Trinken ist wichtig! Denn eine verminderte Flüssigkeitsaufnahme führt zu einer erhöhten Harnkonzentration, die nicht nur den Harndrang, sondern auch das Risiko einer Blasenentzündung steigert. Und auch sonst hat das Trinken (vorzugsweise von Wasser oder Kräutertee) einige gesundheitsförderliche Vorteile.
Quellen:
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. S2e-Leitlinie: Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie. Stand 02.01.2019. URL: www.awmf.org (Zugriff am 28.08.2019).
- Dannecker C, Friese K, Stief C, Bauer R: Harninkontinenz der Frau. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(24): 420-6; DOI: 10.3238/arztebl.2010.0420.